Rührung
Da ist es wieder. Dieses sonderbare und undefinierbare Gefühl von Leere in der Magengrube,
Druck in der Brust verbunden mit Feuchtwerden der Augen, vielleicht eine Träne ohne
Schmerz. Rührung, weil der Blick auf ein Kind fiel, das seiner Mutter die Hände hoch
entgegenstreckte, mit strahlenden Augen, in den Augen der Mutter versinkend, die es in aller
Zärtlichkeit aufnimmt. Die beiden entäußern sich, sind um ihre Person vergessen und sind
eins. Es ist die Liebe.
Aber auch ich vergesse mich und bin mit meinem Blick in dem Geschehen und mit meinem
Selbst in dieser Liebe. Leeregefühl in der Magengegend, Druck in der Brust und feuchte
Augen. – Rührung.
Warum nur heißt dieses Wort Rührung, dem Verb rühren zugeordnet. Meine Gedanken sind
beim Kuchenbacken. Wie mühselig ist es zu rühren, wenn die Masse nicht weich genug ist.
Offenbar kann man nichts Starres rühren.
Wie starr können wir Menschen sein in unseren Vorstellungen, aber auch in der Abgrenzung
zu anderen, nur damit wir uns durchsetzen oder schützen. Wieviel Energie bringen wir auf,
damit wir um uns herum die schützenden Mauern aufrecht erhalten oder sie in Dicke oder
Höhe verstärken.
Im Erhärten der Seele hinter diesen Mauern hat die Rührung es schwer. Und doch passiert es
zuweilen, gleichsam als Geschenk, dass durch eine äußere Wahrnehmung eine Ahnung von
etwas hinter den Mauern und unter der Schale entsteht. Dann bröckelt die Mauer und Tränen
der Rührung machen weich, vielleicht unter Schmerz. Die Seele beginnt zu atmen, und ohne
Mauern kann sie sich ausbreiten und fließen.
Seelenfließen. Zerfließen in den Ursprung und ins alles. Erfahrung von Liebe, Erfahrung Der
Liebe. Es ist der Grund, warum sich Schmerz und Liebe so gleich anfühlen. Die Wüstenväter
haben es die Gabe der Tränen genannt.
Tertius Ordo Fratrum Beatissimae Virginis Mariae De Monte Carmelo
DER DRITTE ORDEN DES KARMEL TOCarm - johannes soreth